Der frisch vereidigte Bundeskanzler Olaf Scholz sieht sich eigentlich immer noch mit zwei ungeklärten Finanzskandalen konfrontiert: Dem Wirecard-Betrug unter seiner Aufsicht sowie fragwürdigen Verbindungen zur Warburg-Bank, die mit Cum-Ex-Geschäften Steuerraub betrieben. Letztere Vorwürfe wollen wir heute mal zusammenfassen und hinterfragen, ob ein Politiker mit solchen Skandalen behaftet wirklich Kanzler werden sollte. Die Causa Scholz steckt voller Widersprüche und könnte expemplarisch dafür sein, wie Lobbypolitik im Dunkeln vonstattengeht.
Cum-Ex-Geschäfte starteten bereits in den 1990ern, damals noch unter anderem Namen. Ausschlaggebend für die milliardenschwere Betrugsserie war allerdings ein Urteil des Bundesfinanzhofs 1999, in der festgehalten wurde, dass Aktien steuerrechtlich gesehen auch mehrere Eigentümer haben können. In den 2000ern starteten dann die Geschäfte so richtig durch. Eine Chronologie des Finanzskandals finden Sie auf der Website der Bürgerbewegung „Finanzwende“.
Zusammengefasst geht es um ein Verwirrspiel mit Aktienkäufen zwischen Banken und Unternehmen, um Kapitalertragssteuern aus Dividendenzahlungen zurückfordern zu können. Durch eine juristische Lücke gelang es Banken vermeintlich gezahlte Kapitalertragssteuern rückerstattet zu bekommen, die niemals gezahlt wurden. Der Staat verlor durch diese Tricksereien etwa 150 Milliarden Euro an Steuergeld. Der Bundesgerichtshof befand die Praktiken im Jahr 2021 endgültig als illegal.
Hamburg ließ 47-Millionen Forderung verjähren
Eine der Banken, die sich an diesen illegalen Machenschaften beteiligten, ist die Warburg-Bank. Im Jahr 2016 startete im Deutschen Bundestag bereits ein Untersuchungsausschuss, der massives Staatsversagen der Finanzbehörden hinsichtlich des Steuerbetrugs feststellten. Zeitgleich informierte das Bundesfinanzministerium die Hamburger Finanzbehörde, dass sich die Bank im Jahr 2009 durch die Geschäfte rund 47 Millionen Euro an Steuergeld einstrich. Das Bundesland Hamburg hätte die Bank auffordern können, das geraubte Steuergeld zurückzuzahlen. Das Problem: Diese Forderung drohte zu verjähren. Die Finanzbehörde verzichtete auf eine Rückforderung, wodurch der Bank die Summe erhalten blieb. Im Jahr 2017 dasselbe Spiel. Dieses Mal standen 43 Millionen Euro Rückforderung im Raum . Erst auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums ließ die Hamburger Finanzbehörde die Verjährungsfrist dieses Mal nicht auslaufen.
Als Recherchen des NDR-Magazins „Panorama“ und der „Zeit“ diese Verjährung im Februar 2020 offenlegten, startete auch in der Hamburger Bürgerschaft ein Untersuchungsausschuss. Auch unser Neu-Kanzler Olaf Scholz musste sich einer Befragung stellen, denn er war zu dieser Zeit Hamburgs regierender Bürgermeister.
Tagebucheinträge nähren Verdacht politischer Verflechtungen
„Zeit“ und „Panorama“ gelangten an Tagebucheinträge von Christian Olearius, der zur Scholz‘ Amtszeit in Hamburg Aufsichtsratsvorsitzender der Warburg-Bank war. Darin schildert der Banker, wie der ehemalige Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk als Mittelsmann fungierte und sich bei Olaf Scholz für die Belange der Warburg-Bank einsetzte. Einige Tage später erhielt Olearius den Bescheid, die Steuerbescheide von 47 Millionen Euro nicht zurückzahlen zu müssen. Zuvor stand er auch im engen Kontakt mit Svenja Pannhusen, die als Finanzbeamtin für den Fall zuständig war.
War die zeitliche Nähe zwischen dem Treffen von Scholz und Pawelczyk reiner Zufall? Scholz bestätigte im Untersuchungsaussuss zwar den Termin. Jedoch gab er an, sich an den Inhalt des Gesprächs nicht erinnern zu können. Ein paar Wochen später kam es zu einem persönlichen Treffen des Bürgermeisters mit Olearius und Max Warburg, dem Familienerben der Bankengesellschaft. Auch was dieses Gespräch angeht berief sich der heutige Kanzler auf Gedächtnisschwund. Dasselbe Spiel wendet der Politiker an, was das nächste Treffen zwischen Scholz und den Bankern im Oktober 2016 angeht. Im Tagebuch ist desweiteren ein Anruf vermerkt. Darin soll Scholz die Banker angeraten haben, ein ihm vorgelegtes Argumentationspapier der Bank an den Finanzsenator zu schicken. Der damalige Finanzsenator ist Peter Tschentscher. Tschentscher ist wie Scholz nach diesen Geschichten nach „oben gefallen“ und ist heute Hamburgs Oberbürgermeister – und der Nachfolger des Bundeskanzlers.
Hat sich Scholz eingemischt?
Olaf Scholz beteuert, sich niemals in die Belange der Finanzbehörde eingemischt zu haben, was ihm als Bürgermeister auch gar nicht zugestanden hätte. Die Frage ist nur, warum er sich dann in diesen Gelegenheiten überhaupt mit den Bankern getroffen hatte und was sich Warburg und Olearius davon verprachen. Zudem soll Scholz nur wenige Stunden vor der Entscheidung mit den Amtsträgern gesprochen haben. Dies berichteten das Managermagazin und der Spiegel. Pikant: Die Hamburger Senatskanzlei hatte 2019 nach einer Anfrage der Linken noch jegliche Treffen zwischen Scholz und der Bank abgestritten. Auch Scholz selbst räumte die Treffen erst nach Veröffentlichung der Tagebucheinträge ein, zuvor hatte er nur ein Treffen im Jahr 2017 eingestanden. Der Gedächtnisschwund mal wieder.
Juristische Bedenken
Die offizielle Version, warum die Finanzbehörde von einer Rückerstattungs-Forderung absah, sind Bedenken hinsichtlich der juristischen Haltbarkeit und die Befürchtung eventueller Prozesskosten, sollte die Bank den juristischen Streit suchen. Etwa bestätigte die Sachdienstleiterin des Finanzamt für Großunternehmen im Unterschuchungsausschuss diese Begründung. Die Entscheidung sei dennoch nicht wirklich nachvollziehbar, sagte etwa die Staatsanwältin Anne Brorhilker aus. Sie ermittelte zum selben Zeitpunkt bereits in Nordrhein-Westfalen gegen die Warburg-Group. Die Hamburger Steuerfahndung habe sich demnach geweigert, mit den Behörden aus NRW zusammenzuarbeiten, die bereits die Geschäftsräume der Bank durchsuchen ließen und 2019 einen Prozess am Landgericht Bonn anstießen. Darunter wurden auch Warburg-Mitarbeiter verurteilt, die jedoch gegen das Urteil Berufung einlegten.
Zu besagtem Zeitpunkt lagen jedoch auch andere erfolgreiche Rückforderungen gegen Gesellschaften vor, die sich an den Cum-Ex-Geschäften beteiligt hatten. Etwa zahlte die Landesbank Baden Württemberg im April 2014 rund 150 Millionen Euro an den Staat zurück, 2016 zahlte die australische Bank Macquarie eine Strafe von 100 Millionen Euro– darin enthalten ein Bußgeld, Zinsen, Steuerrückzahlungen und Abschöpfungsgewinne.
Der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel äußerte sich gegenüber Panorama: „Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits finanzgerichtliche Urteile, die Cum-Ex-Geschäfte als illegal eingestuft haben, auch das Thema der Verjährung war allgemein bekannt. Wenn es dann um eine Summe von rund 50 Millionen Euro geht und dieser Sachverhalt einfach liegen bleibt, dann ist das ein Skandal.“
Scholz schweigt und weicht aus
Irgendwie kann sich der Neu-Kanzler Olaf Scholz bislang um all diese Widersprüche und Wendungen herumdrucksen. Er beantwortete lediglich die Fragen im Untersuchungsausschuss, zu dem er noch einmal geladen sein wird. Journalisten bekommen auf die Vorwürfe keine Antwort. Exemplarisch dazu versuchte ein niederländischer Reporter auf der Pressekonferenz zum neuen Koalitionsvertrag dem Kanzler ein Statement zu seinen Warburg-Treffen zu entlocken. Scholz wich aus und schwafelte etwas davon, in der neuen Regierung viel für „Sicherheit“ tun zu wollen.
Es deutet einiges darauf hin, dass die Verbindungen zur Warburg-Bank nicht nur ein Scholz-Skandal ist, sondern auch weite Teile der Hamburger SPD mit einschließt. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs kommt ebenfalls in Olearius‘ Tagebüchern vor und soll sich im März 2016 mit dem Banker getroffen haben, um hinsichtlich der möglichen Rückzahlungsforderungen behilflich zu sein. Daraufhin soll der SPD-Politiker bei der Bankenaufsicht Bafin angerufen haben, um „sich einen Überblick zu verschaffen“. 2017 erhielt die SPD 47.000 Euro Spendengeld von der Warburg-Bank, 38.000 davon gingen an den Wahlkreis „Hamburg-Mitte“, den Kahrs bis 2020 im Bundestag vertrat. Anders als Scholz und Tschentscher fiel Kahrs in der Karriereleiter nicht nach oben, denn er trat im Zuge der Ermittlungen gegen ihn im Jahr 2020 freiwillig als Abgeordneter zurück.
Finanzministerium erhielt mehrere Hinweise
Auch in der Bundespolitik hinterlassen die Cum-Ex-Geschäfte einen faden Beigeschmack. Das Bundesfinanzministerium um die Minister Hans Eichel (bis 2005) und Peer Steinbrück (bis 2009) erhielt mehrere Hinweise zu den Cum-Ex-Geschäften. Ein gewisser Arnold Ramackers agierte als „Maulwurf“ im Finanzministerium und konnte im Jahr 2005 ein von Banken formuliertes Gesetz fast eins zu eins durchdrücken, das die Cum-Ex-Praktiken noch praktikabler machte.
Alles in einem zeigt die Causa Scholz perfekt die wohl alltägliche Nähe zwischen der Finanzwirtschaft und Politikern auf. Die Cum-Ex-Geschäfte und die Rolle der Warburg-Bank kamen ans Licht. Wieviele Schmutzeleien in der Welt der politischen Entscheidungsfindung erst gar nicht bekannt werden, lässt sich nur erahnen.