Der Krieg zwischen Gaza und Israel bringt in Deutschland einige hässliche Seiten hervor. Muslimische und linke Demonstranten solidarisieren sich mit Palästina, einige davon zeigen dabei offenen Judenhass. Andere bezeichnen alleine die Kritik an israelischer Machtpolitik und den Versuch der Neutralität bereits als antisemitisch. Die Debatte wird, wie so oft in Deutschland, von einseitigen Haltungen bestimmt. So werden brennende Israel-Fahnen als repräsentativ für Solidaritätsbekundungen mit Palästina ernannt. Derweil fliegen auch unreflektierte Antisemitismus-Vorwürfe munter durch die Medien – leider oftmals in die Richtung gemäßigter Beobachter, die sich bemühen, auch andere Sichtweisen nachzuvollziehen. Diese Polarität muss überwunden werden, um radikalen Kräften nicht das Feld zu überlassen.
Zu einem uralten Konflikt im Nahen Osten tun sich auch in Deutschland harte Fronten auf. Aber bereits wenige Tage vor dem Angriff der im Gazastreifen regierenden Hamas auf Israel ereignete sich in Deutschland eine wahre Antisemitismus-Posse, die einer Comic-Geschichte ähnelt. Nach tagelangen Beschießungen vereinbarten die Kriegsparteien einen bislang andauernden Waffenstillstand. Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer teilte in der ARD-Sendung „Anne Will“ gegen den CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen aus und beschuldigte ihn ohne Beleg des Antisemitismus. Erst wenige Tage später konkretisierte sie ihre Aussage. Dann brach der uralte Kampf zwischen palästinensischen Gruppen und Israel aus – und Fridays for Future war nun selbst „antisemitisch“. Die Aktivistin Greta Thunberg teilte einen Tweet, der als Solidaritätsbekundung mit Palästina gedeutet wurde. Sie erntete einen Sturm der Entrüstung. Auf Twitter antwortete die 18-Jährige: „Um glasklar zu sein: Ich bin nicht ‚gegen‘ Israel oder Palästina. Unnötig zu sagen, dass ich gegen jede Form von Gewalt oder Unterdrückung von irgendjemandem oder irgendeinem Teil bin. Und noch einmal: Es ist niederschmetternd, die Entwicklungen in Israel und Palästina zu verfolgen.“
Man könnte über diese komplett hysterische Empörungskultur herzlich lachen, wenn es nicht um ein derartig ernstes Thema gehen würde. Der Vorwurf des Antisemitismus wiegt speziell aufgrund der deutschen Geschichte schwer. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina geht weit zurück und brachte viele Todesopfer hervor. Und während Deutschland und der Westen in Israel einen wichtigen strategischen Partner im konfliktgeladenen Nahen Osten sehen, ist Europa mit der Einwanderung muslimischer Migranten nun plötzlich auch mit der „Gegenseite“ konfrontiert. Die Proteste aus Solidarität mit Palästina sind im vollen Gange, oft kommt es auch zu unschönen Aktionen, die handfesten Judenhass beinhalten. Der Konflikt ist nicht mehr weit weg, sondern kommt in seinen unterschiedlichen Facetten auch zu uns. Bei allen unschönen Seiten, die solche Proteste beinhalten können, bieten sie aber auch eine Chance. Deutschland kann sich andere Perspektiven einholen, die Zwischentöne finden und sich neutraler positionieren.
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Bei aller Kritik an die teils antisemitischen Proteste gibt es auch gute Gründe, sich eine palästinensische Sicht der Dinge vor Augen zu führen. Palästina hat zwei autonome Gebiete: In der Region Gaza regiert die radikalmuslimische Hamas, die den Konflikt mit Israel über Raketenangriffe neu entfachten. Das andere Gebiet ist das Westjordanland, in dem die Gruppe der „Fatah“ die Oberhand hat. Die Antwort Israels auf die Hamas-Attacken ließen nicht lange auf sich warten: Inzwischen beklagt vor allem die Region Gaza hunderte Tote Zivilisten, Israel konnte die meisten Luftangriffe erfolgreich abwehren.
Seit Jahrhunderten ein umkämpftes Land
Die Vorgeschichte geht zwar über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte zurück. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf Ereignisse vor dem jüngsten Krieg zu werfen. Erst wenige Tage vor Ausbruch der militärischen Auseinandersetzungen kam es im Ostteil von Jerusalem zu gewaltsamen Ausschreitungen. Palästinenser wehrten sich gegen Zwangsräumungen, die Israel in den Ostvierteln der Stadt vornehmen will. 1967 und 1980 annektierte Israel östliche Viertel Jerusalems, obwohl dort mehrheitlich Palästinenser leben und dieses Gebiet international als autonom gilt. Die Hamas sieht sich als Schutzmacht von Ost-Jerusalem. Der Angriff auf Israel könnte als Reaktion auf die Zwangsräumungen und die Ausschreitungen gedeutet werden, was allerdings nicht offiziell ist.
Israel fuhr nach seiner Staatsgründung im Jahr 1947 nicht nur in Jerusalem eine Expandierungspolitik. Anfang der 1980er annektierte der Staat die Golanhöhen im Westjordanland, die von den vereinten Nationen nicht als israelisches Gebiet anerkannt wird. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump erkannte die Golanhöhen erstmals als Staatsgebiet Israels an, Istraels Präsident Benjamin Netanjahu bringt dort den Ausbau israelischer Siedlungen voran.
Der Jemen-Krieg: Eine Fortsetzung westlicher Kolonialpolitik
Jedoch gab es seit der Spätantike so gut wie keine Zeit, in der das Gebiet um Jerusalem, auch „heiliges Land“ genannt, nicht umkämpft war. Im Jahr 70 nach Christus fielen die Römer auf dem Tempelberg ein und zerstörten jüdische Tempelanlagen. Nicht zu vergessen ist der erste Kreuzzug im Jahr 1095, ehe islamische Eroberer das Land besetzten. Sunniten, molukkische Dynastien und Osmanen besetzten das Reich, die Briten eroberten das heutige Israel nach dem ersten Weltkrieg und Anfang der 1920er Jahre zogen tausende jüdische Flüchtlinge in das Land hinein – unter britischem Schutz (Hier eine kurze Zusammenfassung der Geschichte Palästinas und Israels). Die Idee des Zionismus war geboren: ein jüdischer Staat auf dem heiligen Land.
Antizionismus ist nicht gleich Antisemitismus
Antizionismus wird gerne mit Antisemitismus gleichgesetzt. Das ist falsch. Antizionismus ist eine politische Bewegung, eine Idee einer jüdisch geprägten Nation. Semitismus dagegen beschreibt einen Sammelbegriff für jüdische Glaubensrichtungen. Antizionist sein bedeutet also, sich gegen eine politische Idee auszusprechen. Das geht nicht unbedingt mit pauschalem Judenhass einher, wobei eine Auflösung des israelischen Staates ein massives Unrecht erzeugen würde und nicht friedlich erreicht werden könnte. Das würde ein zu Ende gedachter Antizionismus jedoch bedeuten. Sogar Adolf Hitler arbeitete zwischen 1933 bis 1939 mit Zionisten zusammen, um die Juden aus Deutschland in einen neuen Staat vertreiben zu können und schob daher diese politische Bewegung als nützlichen Feind mit an.
Mit dem Schrecken des Holocausts im Rücken ist die Gründung des Staates Israel im Anbetracht der damaligen Zeit nachvollziehbar. Diese Entscheidung zog aber massive Konsequenzen mit sich. Muslimisch geprägte Länder wie Saudi Arabien und Ägypten besetzten bereits kurz nach der Gründung Teile Israels, weil sie den neuen Staat nicht anerkannten. Es zeigte sich also früh, dass im Schatten des Tempelbergs auch Machtpolitik betrieben wird.
Israel und Palästina: Tauziehen im geostrategischen Schachspiel
Die internationale Staatengemeinschaft ist sich uneinig darüber, ob Palästina ein eigenes und anerkanntes Staatsgebiet bekommen soll. Ägypten war unter seinem damaligen Präsidenten Mohammed Mursi sogar bereit, Teile der ägyptischen Halbinsel Sinai für ein unabhängiges Palästina zur Verfügung zu stellen. Ägypten, aber auch Syrien und der Iran erhoffen sich damit einen neuen, souveränen Bündnispartner im Nahen Osten. Besonders das westliche Bündnis versuchte das bislang zu verhindern, obwohl auch US-Präsident Joe Biden jüngst die Zwei-Staaten-Lösung forderte. Israel und Palästina befinden sich also nicht nur auf Kriegsfuß untereinander, sondern auch im Tauziehen zwischen großen geostrategischen Bündnissen. Die meisten Zivilisten dürften unter diesem Zustand enorm leiden. Das Hauptproblem ist hier also nicht blinder Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder Islamismus von einfachen Menschen, sondern eine neutrale, friedvolle Herangehensweise an einen uralten und hochkomplizierten Sachverhalt. Auch uns Deutschen würde dabei ein wenig mehr Neutralität und Sachlichkeit guttun. Alleine schon deshalb, um radikalen und destruktiven Kräften etwas entgegenzusetzen.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist leider das Gegenteil der Fall. Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament gab der AfD eine Mitschuld an den antisemitischen Vorkommnissen, die sich im Zuge von „Pro-Palästina“-Protesten in Deutschland ereigneten. Da an den Protesten offenkundig in der überwiegenden Mehrheit Muslime und Linke beteiligt waren, kann eine solche Zuschreibung nur als lächerlicher Versuch abgetan werden, mit der Aufregung ein beliebtes Bashing zu betreiben – ob’s passt oder nicht scheint dabei völlig egal zu sein.
Man muss kein Fan der AfD sein um zu erkennen, dass Antisemitismus unter einigen Muslimen in Deutschland und auch auf der ganzen Welt verbreitet ist. Das ist unschön und sollte auch ganz deutlich so benannt werden, auch wenn Antisemitismus natürlich auch unter anderen Bevölkerungsgruppen vorkommen kann. Und natürlich zeugt es von einer besonderen Blindheit, wenn Proteste vor Synagogen, hasserfüllte Parolen oder brennende Israel-Fahnen gerade von jenem linksidentitären Lager weitestgehend ignoriert und verharmlost werden, das ansonsten einer Kabarettistin wie Lisa Eckhart wegen angeblich judenfeindlichen Witzen am liebsten die Auftritte streichen will. Und natürlich amüsiert es auch mich ein wenig, wenn Luisa Neubauer mit haltlosen Antisemitismus-Vorwürfen austeilt und nur einen Tag später als Vertreterin von „Fridays for Future“ ihre eigene Medizin zu kosten bekommt.
Die Causa Lisa Eckhart: Vermeidungsstrategie statt Debattenkultur – ein fatales Zeichen!
Wenn Kritik an israelischer Machtpolitik jedoch pauschal mit Judenhass gleichgesetzt wird, sind wir in der Diskussion über einen höchst komplizierten Konflikt jedoch wieder keinen Schritt weitergekommen. Besonders das konservative Lager, das sich ansonsten vehement gegen die linksidentitäre und oft unreflektierte „Cancel-Culture“ einsetzt, sollte nicht den Versuchungen verfallen, sich auf dasselbe Debattenniveau zu begeben. Leider passiert das in den Äußerungen der vergangenen Tage häufig. Als Reaktion auf Greta Thunbergs angeblich antisemitisch konnotierten Tweet schrieb etwa der Focus-Autor Hugo Müller-Vogg: „Sie missbraucht ihre Prominenz, um Israel-Hass zu schüren.“ Aber auch manche alternative Medien springen auf den Antisemitismus-Zug auf, ohne dabei auf die Zwischentöne zu achten.
Palästinensische Sicht: Gibt es wirklich nur die „Radikalen“?
In der jüngsten Ausgabe des Podcasts „Indubio“ von der „Achse des Guten“ behauptet etwa Rainer Bonhorst (Minute 14.18 bis zirka 4.50), ehemaliger Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Deutschland habe sich „hunderttausende antijüdische Migranten aus dem arabischen Raum hereingeholt“. Hunderttausende? Kann man wirklich von einigen hundert randalierenden Antisemiten ableiten, dass der Hass unter hunderttausenden Migranten verbreitet ist? Dass dieses Problem unter einigen Muslimen vorkommt, ist offensichtlich und muss auch ohne Tabus thematisiert werden. Dennoch ist es nicht ratsam, jede Form der Solidarisierung mit Palästina, des Protests oder gar der Kritik an den Staat Israel mit offensichtlichem Hass gegen jüdische Menschen gleichzusetzen. Nur eine Woche vorher berichtete die Publizistin Vera Lengsfeld im selben Podcastformat von ihren eigenen Eindrücken, die sie in Israel sammeln konnte:
„Ich konnte in Israel meine eigenen Beobachtungen machen. Zum Beispiel, dass die Politik das eine ist und das alltägliche Leben das andere. Man konnte am Checkpoint beobachten wie die palästinensischen Handwerker nach Israel herüberfahren um dort zu arbeiten. Das ist ein reger Grenzverkehr und funktioniert auf dieser Ebene der Bevölkerung sehr gut. Dabei war ich auch auf das ZDF so sauer. Auf dieses Interview, in dem die Professorin behauptet hat, es wäre die palästinensische Bevölkerung, die sich gegen Israel wendet. Dabei ist es die Terrororganisation Hamas.“
Daraus ließe sich doch eigentlich ableiten, dass sich auch hierzulande nicht „hundertausende Migranten“ in Judenhass hüllen, also die muslimische Bevölkerung, sondern eher einige Extremisten. Diesen Extremisten auch noch das Monopol für palästinensische Solidaritätsbekundungen in die Hand zu geben, wäre alles andere als klug. In der selben Sendung war auch Hans-Georg Maaßen persönlich zu Gast, der es für überlegenswert hält, die Proteste sogar zu verbieten. „Wenn das Verwaltungsgericht das mitmacht“. Nein, Herr Maaßen. Ich möchte nicht, dass Demonstrationen in Deutschland im Vorhinein aufgrund eines Verdachts verboten werden können – weder Coronademos, noch Proteste zum Nahost-Konflikt. Sollten dort strafrechtlich relevante Aktionen passieren, hoffe ich, dass die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Alles andere wäre nicht die Art von Rechtsstaatlichkeit, die ich mir wünsche.
Zusammengefasst: Der Konflikt im Nahen Osten ist viel zu kompliziert, als dass sich Außenstehende klar und deutlich positionieren können. Kritik an Israel ist kein Judenhass, einige Muslime sind Antisemiten und wir sollten uns um einen möglichst neutralen Blick bemühen, um beide Lager zu verstehen. Muslimische Migranten in Deutschland können dabei nicht nur ein extremistisches Lager abbilden, das in jedem Fall beleuchtet und verurteilt werden muss. Sie können uns auch eine gemäßigte Sichtweise bieten, was der Konflikt eigentlich aus der Sicht von Muslimen bedeutet. Es ist eine Chance zu Interessensausgleich und zur Neutralität, aus der eine friedvollere Außenpolitik entstehen kann. Für politisches Klein-Klein, wie es in der Neubauer-Maaßen-Posse zu beobachten war, sollte dann aber kein Platz mehr sein.
Ein Kommentar zu “Nahost-Konflikt zwischen Palästina und Israel: Wo sind die Zwischentöne?”