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Besonders öffentlich rechtliche Medien berichteten während der Corona-Thematik mehrmals über die Arbeitsbedingungen bei Lieferando. Während Restaurants, Bars und Cafés seit einem Jahr weitestgehend schließen mussten, profitiert der Lieferdienst besonders von der Krise. Große Medien berichteten in den vergangenen Wochen erstaunlich intensiv über schlechte Arbeitsbedingungen, denen Fahrer ausgesetzt sind. In diesem Beitrag möchte ich meine persönliche Erfahrung als Mitarbeiter bei Lieferando mit der Berichterstattung abgleichen.
Lieferando genießt in Europa mittlerweile ein Quasi-Monopol. 2018 machte der Lieferdienst besonders auf sich aufmerksam, als er die Konkurrenten „pizza.de“, „Lieferheld“ und „Foodora“ auf einen Schlag aufkaufte. Zu diesem Zeitpunkt war ich erst wenige Monate als Fahrer bei Lieferando tätig – in meinem Vertrag waren acht Stunden die Woche an Arbeit vereinbart.
Lieferando ist Teil des niederländischen Unternehmens „Just eat take away“. Einnahmen generiert der Lieferdienst über Plattformgebühren, die Restaurants bezahlen müssen, um auf der Website auffindbar zu sein. Restaurants, die sich keinen eigenen Lieferdienst leisten können oder wollen, können auf die Fahrer von Lieferando zurückgreifen. Dafür müssen sie pro Bestellung 30 Prozent des Umsatzes an „take away“ abgeben. 2020, im Jahr der geschlossenen Restaurants, nahmen die Online-Bestellungen beim Anbieter um 42 Prozent auf 588 Millionen in Deutschland zu, berichtet das Handelsblatt. Das bedeutet eine Umsatzsteigerung von 54 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro. Am Jahresende verzeichnete das Unternehmen ein Plus von 256 Millionen Euro.
Die Fahrer sind jedoch nicht am Gewinn beteiligt, kritisierte etwa die Folklore-Sendung „heute-show“ in diesem Beitrag. Das Magazin „Panorama“ schleuste eine Journalistin in die Fahrerschaft ein, um die Arbeitsbedingungen beim Krisengewinner zu beleuchten.
Kritik: Sicherheit der Fahrer unzureichend
In den Berichten wurden besonders die Anliegen der sogenannten „Rider“ beleuchtet – die Fahrer, die das Essen mit dem Fahrrad ausliefern. Panorama kritisiert vor allem die fehlende Sicherheit der Biker – besonders im Winter auf rutschigen Straßen. Fahrer fordern, dass Lieferando bei schlechtem Wetter früher Lieferungen aussetzen soll, als sie es bisher tun, um seine Mitarbeiter nicht übermäßig zu gefährden. Tatsächlich entschied sich Lieferando im vergangenen Winter wenige Male dazu, kurzzeitig keine Fahrrad-Lieferungen zu tätigen. In meinem Jahr als Lieferando-Fahrer habe ich so etwas, trotz Schnee oder Hitze, nicht einmal erlebt, dass Bestellungen mit dem Fahrrad ausgesetzt wurden. So gesehen kann dies womöglich schon als kleiner Fortschritt angesehen werden.
Ich war in meiner Lieferando-Zeit kein Rider, sondern mit dem Auto unterwegs. Natürlich gestaltete sich meine Arbeit so wesentlich entspannter. Jedoch ergaben sich auch Nachteile. Im Panorama-Bericht wurde etwa kritisiert, dass Fahrrad-Reparaturen von Lieferando nicht bezahlt wurden – stattdessen würden Fahrer einen Amazon-Gutscheine als Entschädigung für Fahrrad-Verschließ durch den Job erhalten.
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Zu meiner Zeit gab es für Reparaturen und den Fahrzeugverschließ gar nichts. Als ich im Herbst 2018 meinen Dienst begann, wurden mir noch nicht einmal weite Teile der Benzinkosten erstattet. Lediglich den Weg vom Restaurant zum Kunden konnte ich mir abrechnen lassen. Der Weg zurück zu einem anderen Restaurant oder die Suche nach einem Aufenthaltsort, wenn ich keinen Auftrag hatte, wurden mir nicht entschädigt. Erst ab Sommer 2019 fing Lieferando an, mehr Fahrkosten zu übernehmen. Immerhin. Fahrzeugverschließ und Reparaturen konnte ich mir selbstverständlich nicht entschädigen lassen – schließlich würde das noch wesentlich höhere Kosten für Lieferando verursachen, als bei den Radfahrern.
Wackeliges Geschäftsmodell
Insgesamt mag Lieferando mit ihrem Geschäftsmodell zwar einer der größten Krisengewinner sein. Die Jahre vor Corona, also auch zu meiner Fahrerzeit, stieß das Geschäftsmodell jedoch immer stark an seine Grenzen. Ich habe es mir einst ausgerechnet, dass ich mindestens drei Auslieferungen in der Stunde bewältigen müsste, um Lieferando mit meiner Fahrertätigkeit ein kleines Plus zu bescheren. Mein Verdienst: Zehn Euro die Stunde. Gerade in meiner Anfangszeit war ein solches Pensum selten der Fall. Manchmal brauchten die Restaurants zu lange mit den Bestellungen, gerade nachmittags kamen nur vereinzelte Jobs rein.
Das änderte sich im Sommer 2019. Grund dafür war eine riesige Kündigungswelle, gerade von Radfahrern. Von da an: Dauereinsatz. Dies war für mich der Punkt, an dem mir diese Tätigkeit endgültig keinen Spaß mehr machte. Zuvor empfand ich den Job als recht entspannt – ein kleiner Nebenverdienst neben dem Studium. Manchmal arbeitete ich nachmittags – zwei Stunden ohne ein einziger Auftrag. Teilweise fuhr ich während dem Dienst nach Hause, da sich meine Wohnung noch innerhalb des Stadtteils befindet, in dem wir uns aufhalten sollten.
Grund für die Kündigungswelle war eine skurrile Aktion des Arbeitgebers. Im Sommer stellte Lieferando erstmals für die Fahrrad-Lieferanten E-Bikes zur Verfügung, was deren Arbeit erheblich erleichterte. Einige Autofahrer stiegen sogar auf das Rad um, weil es hinsichtlich der ausbleibenden Benzinkosten günstiger war. Nach nur zwei Monaten kassierte Lieferando die E-Bikes wieder ein – zu teuer. Bis auf wenige Radfahrer quittierten alle Rider in unserer Stadt den Dienst. Zudem wurde ihnen der Aufenthalt in Restaurants quasi „verboten“, weil sie Kunden angeblich die Plätze weggenommen hätten.
Fahrermangel? Weiter Kooperationen!
Restaurants und Kunden mussten plötzlich bis zu zweieinhalb Stunden auf die Lieferung warten. Das Pensum, das Fahrer bewältigen mussten, blieb erst einmal gleich – trotz der Kündigungswelle. Was folgte waren unzufriedene Restaurantbetreiber und Kunden – wir Fahrer durften uns den Unmut anhören, beschwichtigen, erklären. Das wirkte sich natürlich auch auf unser Trinkgeld aus. Anstatt dem wirksam entgegenzusteuern, schloss Lieferando in unserer Stadt sogar weitere Kooperationen ab.
Apropos Trinkgeld: Während der Pandemie führte Lieferando auf der Plattform die Option ein, Trinkgeld auch auf digitalem Wege überweisen zu können. Ich gehe davon aus, dass diese Möglichkeit auch mir ein wenig mehr Trinkgeld hätte einbringen können. Online-Bestellungen, die ich auslieferte, wurden alle digital bezahlt. Um mir Trinkgeld zu geben, mussten Kunden Kleingeld bei sich haben und ihre Geldbörse extra hervorholen. Das ist wesentlich aufwendiger, als einen sowieso zu zahlenden Betrag einfach aufzurunden. Manchmal fuhr ich vier Stunden lang, ohne nur einen Cent Trinkgeld erhalten zu haben.
Böse Blicke, Strafzettel, Auseinandersetzungen
Was mir in Sachen Trinkgeld ebenfalls auffiel: Bestellungen bei McDonalds oder anderer großen „Billigketten“ waren wesentlich seltener mit Trinkgeld verbunden, als bei kleinen privaten Restaurants. Besonders froh war ich daher natürlich, wenn ich den ganzen Abend von einem McDonalds zum nächsten geschickt wurde. Außerdem: Parken Sie mal mit Ihrem Privatwagen vor großen Einkaufszentren, in Fußgängerzonen oder vor dem Hauptbahnhof auf Taxi-Parkplätzen. Böse Blicke sind Ihnen gewiss, wenn nicht sogar ein Strafzettel. Davon war ich zum Glück nicht betroffen (einen Strafzettel konnte ich dem Kontrolleur „ausreden“, gegen einen anderen legte ich bei der Stadt erfolgreich Widerspruch ein), jedoch erzählten mit andere Kollegen, bei ihrer Ladetätigkeit Strafzettel bekommen oder aggressive Auseinandersetzungen erlebt zu haben. Eine Plakette mit der Aufschrift „Lieferando“ stand uns eigentlich zu, jedoch habe ich diesbezüglich zwei mal vergeblich bei den mir bekannten Ansprechpartnern angefragt – jedoch nichts zugeschickt bekommen.
Kommunikation. Ein gutes Stichwort. Anfangs zu meiner Zeit hatten wir eine Ansprechpartnerin, die unsere und zwei weitere Großstädte koordinierte. Diese Stellen wurden mittlerweile gestrichen, was die Kommunikation nicht leichter machte. Hinsichtlich dieser Unternehmensstruktur wundert es mich nicht, dass Fahrer Schwierigkeiten haben, Betriebsräte zu gründen, wie aus den angeführten Medienberichten zu entnehmen ist. Insgesamt ist die Organisation und Kommunikation innerhalb von Lieferando überaus chaotisch. Der Chef ist der Algorithmus. Sollte man einen Auftrag nicht rechtzeitig ausführen können, wählt man eine Nummer, die zu einer „Disposition“ führt. Disponenten arbeiten in Berlin und steuern von dort aus die Liefertätigkeiten in allen deutschen Städten. Sie haben also keine Ahnung, wenn ich für einen Auftrag mit meinem Auto mitten in eine Fußgängerzone hineinfahren muss. Solche Jobs lehnte ich nach einiger Zeit immer ab, meist erfolgreich. Disponenten sind keine „Chefs“, sondern auch normale Arbeiter. War die Kommunikation hergestellt, hatte ich meist gute Erfahrungen mit ihnen. Arbeitete ich etwa länger als meine vorgesehene Arbeitszeit, schrieben sie mir ohne Diskussion die Minuten gut. Die Telefonkosten, die während dem Job im Gespräch mit Kunden oder Disponenten entstanden, wurden von Lieferando nicht übernommen.
Abschließend möchte ich noch etwas zur App schreiben, das Arbeitstool der Fahrer. Internetkosten, die für dessen Nutzung anfallen, Sie ahnen es, wurden uns nicht erstattet. Mein Hauptproblem mit der App war jedoch, dass im Laufe meiner Tätigkeit eine Neuerung eingeführt wurde. Kunden konnten die Fahrer nun während des Lieferprozesses „tracken“, um zu sehen, wo sich ihre Bestellung befindet. Aus meiner Sicht ist das ein eklatanter Verstoß gegen den Datenschutz, auch Disponenten beobachteten mich um zu sehen, wo ich mich befinde. Das schlimmste ist, dass wir Fahrer vor Einführung dieses „Kundesservices“ weder über die Neuerung informiert wurden, geschweige denn gefragt, ob wir damit einverstanden seien. Auch in meinem Arbeitsvertrag stand nichts, das als Einwilligung solcher Funktionen zu werten sein könnten. Apropos Arbeitsvertrag: Nach einem Jahr „Probezeit“ ließ Lieferando meinen Vertrag auslaufen. Der Arbeitgeber tat dies mittels eine maschinell erstellten Email. Dies lag vermutlich daran, dass ich mit meinem „alten“ Vertrag noch 50 Cent mehr pro Stunde verdiente, als Fahrer, die später einstiegen. Verlängern wollte ich diese Tätigkeit sowieso nicht. Insgesamt aber habe ich schon schlimmere Jobs gemacht.
Lieferando will laut Handelsblatt noch weiter expandieren, die Pandemie machts möglich. 2020 übernahm „Take Away“ den britischen Dienst „Just Eat“. 2021 peilt das Unternehmen den Aufkauf von „Grubhub“ aus den USA an. Mehr Geld für die Fahrer bleibt daher also nicht.