Gut 176.000 Menschen unterzeichneten bereits eine Petition, als Corona-Hilfe ein bedingungsloses Grundeinkommen von rund 1.000 Euro pro Nase temporär einzuführen. Der Petitionsausschuss des Bundestages verhandelte diese Idee bereits, die Regierung lehnt diese Mittel zur Bewältigung der ökonomischen Folgen der Corona-Maßnahmen jedoch ab. Die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommen ist sehr alt. In einzelnen Studien und Umfragen wurde seit den 1970ern empirisch untersucht, wie praktikabel, akzeptiert und wirksam dieses Mittel sein könnte. Wir geben einen Überblick darüber, was die Daten bislang aussagen und welche Fragen noch offen sind.
„Vom Glauben zum Wissen“. Diese Motivation offenbart der Verein „Mein Grundeinkommen“, wenn sie auf ihrer Website ihr „Pilotprojekt BGE“ vorstellen. „Die Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen beruht vor allem auf ideologischen Glaubenssätzen. Wir wollen, dass die Debatte realistisch geführt wird – und liefern dafür die wissenschaftlichen Daten.“ Die Forscher wollen dafür 122 Menschen über drei Jahre ein monatliches Einkommen von 1.200 Euro auszahlen. Für das Projekt bewerben sich Interessierte selbst, die Phase zur Anmeldung der ersten Studie lief bereits ab.
Es sind zwar nicht nur „ideologische Glaubenssätze“, die Befürworter und Kritiker voneinander trennt, aber fast. Vor allem ist es ein Gegensatz zweier Menschenbilder: Dem optimistischen und dem pessimistischen Menschenbild. Die einen sagen, der Mensch dürfe sich nicht zu frei, nicht zu sicher fühlen. Ansonsten würde er apathisch und „faul“. Die anderen behaupten, der Mensch erreiche erst mit steigender Freiheit und Existenzsicherheit sein wahres Potenzial.
So lassen sich auch die wenigen empirischen Daten, die bereits zum BGE vorliegen, ziemlich mühelos in beide Richtungen interpretieren. Der Verein „Mein Grundeinkommen“ veröffentlichte demnach eine YouGov-Umfrage, in der 50 Prozent der Befragten zwar befürchten, mit dem BGE würden die meisten Menschen weniger arbeiten. Gleichzeitig würden jedoch nur acht Prozent der Probanden angeben, im Falle eines BGEs selbst ihre derzeitige Erwerbsarbeit niederlegen zu wollen.
Als Gegenargument lassen sich hier einige Relativierungen der Probanden-Aussagen anbringen, beispielsweise der Effekt, der in der empirischen Sozialforschung „soziale Erwünschtheit“ genannt wird. An die Erwerbsarbeit sind im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in der heutigen Gesellschaft normative Assoziationen geknüpft. Wenn man diese bricht, drohen soziale Sanktionen. Dies führt zu gegenwärtigen Einstellungen, die sich auch in der Beantwortung eines Fragebogens niederschlagen können. In einer BGE-Gesellschaft würden jedoch plötzlich ganz andere Rahmenbedingung auf das Verhalten der Subjekte wirken, die solche normativen Assoziationen an die Erwerbsarbeit möglicherweise auflösen und den „Drang“ zur Arbeit durchaus lindern könnte. Man kann es drehen und wenden wie man will: Um diese Idee auf die nächste Diskussionsebene zu bringen, müssen mehr Daten her – in diesem Fall haben die Initiatoren des Pilotprojekts jedenfalls Recht. Doch schauen wir uns die bisherigen Erkenntnisse aus vergangenen Studien mal an.
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Das wohl bekannteste und größte Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen ereignete in den 1970er Jahren in Kanada. In der Kleinstadt Dauphin bezahlte die Lokalregierung an alle rund 10.000 Einwohner mehrere Jahre lang 1.200 Canadische Dollar pro Monat aus. Diese Summe hätte heute einen Wert von sagenhaften 5.500 US-Dollar.
Die Soziologin Evelin Forget erhielt erst einige Jahre später Zugang zu den Daten des sogenannten Mincon-Experiments und wertete einige Parameter davon aus. In ihrer dazugehörigen Studie „Die Stadt ohne Armut“ stellte sie interessante Entwicklungen über die Einwohner von Dauphie in dieser Zeit fest.
Die Daten aus der Kleinstadt verglich sie mit Zahlen der umliegenden Region „Winnipeg“. Die Bezieher des Grundeinkommen zeigten dabei deutlich bessere gesundheitliche Werte, was Forget unter anderem mit sinkenden Gesundheitsausgaben der Bürger von Dauphie belegt. Ebenso zeigte sich, dass Schüler mehr Zeit in ihre Bildung investierten. Etwa besuchten mehr junge Menschen das 12. High-School-Jahr, als dies Schüler in Winnipeg taten.

Im Zuge einer Öl-und Wirtschaftskrise stellte die Lokalregierung im Jahr 1979 das Projekt aus Kostengründen wieder ein. Grund dafür war eine aufkommende Inflation mit steigenden Lebenserhaltungskosten. Das Grundeinkommen der Familien wurde zwar ausgehend der Inflationsrate angepasst, das Budget für das Experiment jedoch nicht. Daher stellt sich für Kritiker die bislang wenig geklärte Frage: Ist das Grundeinkommen krisenresistent?
Forget analysierte auch Studien, die als Folge des Mincon-Experiments in den USA anliefen. Projekte in New Jersey und Pennsylvania zeigten einen 13-prozentigen Rückgang der Arbeitsintensität, interessanterweise schoss dort mit dem Grundeinkommen die Scheidungsrate um 50 Prozent nach oben. Bei jungen Frauen unter 25 sank zudem die Geburtenrate.
„Immer mehr Anreiz zu arbeiten, statt weniger“
Forget reißt in ihrer Auswertung die Folgen des Grundeinkommens auf den Arbeitsmarkt nur an, weswegen keine genaueren Zahlen über dortige Entwicklungen öffentlich zugänglich sind. Sie schreibt dazu nur: „Es gab immer einen Anreiz, mehr zu arbeiten, statt weniger.“ Die Wissenschaftlerin erklärt sich dieses Effekt mit dem Umstand, dass die Bürger in Dauphin für jeden dazu verdienten Dollar nur 50 Cent von ihrem Grundeinkommen abgezogen bekamen. Genau dieser Umstand macht das Grundeinkommen in Dauphin jedoch schon wieder nicht „bedingungslos“, schließlich war der erhaltene Betrag letztlich doch abhängig vom jeweiligen Gesamtverdienst der Bürger.
Mit einem wirklich bedingungslosen Grundeinkommen wurde zuletzt in Finnland experimentiert. Die Erkenntnisse daraus ähneln sich stark mit den Daten, die Evelyn Forget aus Kanada auswertete. Auch in Finnland zeigte sich bei den Beziehern des Grundeinkommens hinsichtlich der ökonomischen Sicherheit erhebliche positive Gesundheitseffekte. Die Probanden mit BGE zeigten etwa zu rund zehn Prozent weniger Anzeichen von Depressionen, als die Probanden in der Kontrollgruppe.
Arbeitsmarkteffekte stellten sich weder positiv noch negativ ein – was Kritiker in ihrem vermeintlich stärksten Gegenargument eigentlich schwächen würde, heißt es doch, das BGE würde die Menschen zur Faulheit animieren und gesellschaftlich notwendige Jobs würden dann kaum mehr verrichtet werden. Insgesamt arbeiteten die Probanden durchschnittlich sechs Tage im Jahr mehr, als vor ihrer Teilnahme in der Studie.
Kritik an den finnischen Daten
Jedoch weist die Studie einige Schwächen auf. FAZ-Autor Patrick Bernau etwa schreibt dazu in einer Analyse der Ergebnisse aus Finnland, das Experiment beinhalte zwei wesentliche Kritikpunkte. Zum einen bemängelt er die Auswahl der Teilnehmer. Als Probanden zogen die finnischen Forscher nur arbeitslose Bürger heran. Menschen, die in Erwerbsarbeit stehen, wurden nicht mit einbezogen. „So kann man nicht testen, ob arbeitende Menschen angesichts des Grundeinkommens ihre Stelle aufgeben“, bemängelt Bernau.
Außerdem kritisiert der Redakteur, dass das Projekt auf zwei Jahre befristet sei und demnach keinen Nachweis erbringen könne, ob durch das BGE auch ohne Befristung die Arbeitsintensität auf dem gleichen Level bleiben würde oder nicht.
Dieselben positiven Effekte wie Kritikpunkte finden sich bei einer Studie in Ontario (Kanada), das aus Kostengründen vorzeitig abgebrochen wurde.
Die gesellschaftliche Akzeptanz für das BGE scheint abgesehen von den lückenhaften Daten ohnehin noch nicht wirklich da zu sein. Die Initiative „Mein Grundeinkommen“ veröffentlichte auf ihrer Website zwar eine YouGov-Umfrage, die eine 50 prozentige grundsätzliche Zustimmung für die Idee eines BGE erhob. 2016 entschieden sich bei einer Volksabstimmung in der Schweiz jedoch nur 22 Prozent für ein BGE von 2500 Franken.
Wie wäre ein BGE finanzierbar?
Wie und ob eine solche Leistung volkswirtschaftlich finanzierbar ist, ist umstritten. Befürworter argumentieren besonders mit dem Wegfall fast aller anderen Sozialausgaben, die durch das BGE ersetzt werden könnten. Weitere Mittel wären eine Finanztransaktionssteuer oder – im Fortschreiten der digitalisierten Arbeitswelt – eine „Maschinen, beziehungsweise Robotersteuer“. Ebenfalls in vielen Modellen enthalten: Deftige Steuererhöhungen auf Lohnsteuern, mit denen das Budget für das BGE gewonnen werden soll. Dies würde jedoch ein zentrales Argument einiger Befürworter stark ankratzen, das Grundeinkommen würde die Menschen dazu animieren, sozial abgesichert trotzdem einiges an Einkommen dazu verdienen zu wollen können und das meiste davon behalten zu dürfen. Gerade solche Zusatzverdienste mit hohen Steuern zu versehen, wäre dann möglicherweise verhängnisvoll.
Die Grundidee einer Corona-Hilfe, die auch direkt bei Arbeitnehmern ankommt und nicht ohne Deutlichmachung des angedachten Zwecks in Großkonzerne fließen, ist prinzipiell begrüßenswert. Wie die Corona-Hilfspolitik des Bundes bereits im Sommer nach dem ersten Lockdown fehl schlug, kritisierten die Generaldebatten am Beispiel der Lufthansa-Rettung in diesem Artikel bereits deutlich. Ebenfalls wird klar, dass die Corona-Maßnahmen eine erhebliche Umverteilung von unten nach oben mit sich bringen. Lesen Sie dazu unseren Text aus dem November über Gewinner und Verlierer der Krise und die Befürchtungen, was uns am Ende dieser Effekte alles erwarten könnte. Dennoch stellt sich die Frage, ob man die Krise nun für weitere wenig erforschte Sozialexperimente nutzen sollte.
Für Schnellschüsse ist die Datenlage zu dünn
Ein Rechenbeispiel: Für ungefähr sechs Monate Corona-Grundeinkommen in der Höhe, wie es die Petition fordert, müsste der Bund knapp 500 Milliarden Euro aufbringen– womit jedoch keine Unternehmensverluste durch die Corona-Maßnahmen oder betriebliche laufende Kosten für gebeutelte Unternehmer gedeckt wären. Selbst wenn man die Krise nun dafür nutzen würde, das Corona-Grundeinkommen als eine Art „Mega-Studie“ auch zur Datengewinnung heranzuziehen, wären dies unrealistisch teuer erkaufte Erkenntnisse. Nichtsdestotrotz wird die Diskussion über das BGE gerade im Falle fortschreitender Automatisierung der Arbeit nicht abbrechen – im Gegenteil. Der gesundheitliche Nutzen für die Menschen zeichnet sich immerhin bereits aus den vorliegenden Daten ab – und seit Corona hat die Bundesregierung das gesundheitliche Wohl der Bürger ja angeblich neu für sich entdeckt. Nun braucht es jedoch dringend mehr Studien, Erkenntnisse und nicht zuletzt auch juristische, philosophische und seelische Abwägungen, um die Debatte auf die nächste Ebene zu hieven. Für Schnellschüsse jedoch ist die Datenlage noch viel zu dünn.
Das bedingungslose Grundeinkommen wird bedingungslos beginnen. Aber man wird über Zeit feststellen, dass dies ziemlich teuer ist. Dann wird es zu Einschränkungen kommen. Zum Beispiel könnte man es für Kriminelle reduzieren. Oder für Menschen, die sich „asozial“ verhalten, heute z. B. keine Corona-Tracking-App laden. Einige werden das ablehnen, viele werden es aber für eine berechtigte Maßnahme halten. Genauso kann man anderes Verhalten sanktionieren – vom Müll auf die Straße werfen bis zu irgendwas. Warum sollte die Gesellschaft Leuten Geld geben, die sich nicht an die Regeln halten?
https://norberthaering.de/die-regenten-der-welt/grundeinkommen-weltwirtschaftsforums/
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