Ausbildungsplatz oder Universität in der Coronakrise: Muss es ein Studium sein?

Corona beutelt die Weltwirtschaft. Davor ist auch der Arbeitsmarkt in Deutschland, das die Pandemie im europäischen Vergleich verhältnismäßig gut abfedern konnte, nicht gefeit. Betriebe schließen oder können nicht neu anstellen. Bedeutet das eine Absage an die klassische Ausbildung und wäre ein Studium die sichere Alternative? Mitnichten!

Normalerweise sind Mitte, Ende August die Weichen gestellt. Ausbildungsplätze sind weit im Voraus zum 1. September vergeben. Studierende immatrikulieren sich für den Semesterbeginn im Oktober. Im Jahr 2020 wird der Start in den neuen Lebensabschnitt wegen der Corona-Pandemie und ihren Nachwehen den Schulabgängern ausfallen oder verschoben.

Einmal mehr stellt sich ihnen die Frage, ob ihr Glück und ihr Erfolg in einem Studiengang oder in einem Ausbildungsberuf zu finden ist. Oft hallen Binsenweisheiten, Stammtischparolen oder „gut gemeinte” Ratschläge nach. Sei es von Eltern, Lehrern oder am schlimmsten: der Gesellschaft. Erst heißt es, „ohne Abitur geht nichts”, im Folgenden „ohne Studium geht nichts”. Zudem wirft die Corona-Krise Zweifel auf. Laut einer aktuellen Studie Bertelsmann Stiftung empfinden rund 60 Prozent der Jugendlichen ihre Chancen bei der Ausbildungssuche als erschwert.

Freie Ausbildungsplätze – trotz Corona „Topergebnis“

Gerade in den stark betroffenen Branchen wie der Gastronomie oder dem Tourismus mag dies jedenfalls zutreffen. Kfz-Mechatroniker beispielsweise, die beschädigte Autos reparieren sollen, oder Klempner braucht es dennoch. Auch in Sachen Produktion, Dienstleistung und Handel registriert die Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 15 Prozent an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Insgesamt seien bloß fünf Prozent weniger Verträge bei der IHK eingegangen.  „Das ist für diese Krisenzeit ein Topergebnis“, jubelt ihr Hauptgeschäftsführer Ulrich Wagner der Augsburger Allgemeinen Zeitung.

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In der Hansestadt Bremen blieben wie im Freistaat Bayern Ausbildungsplätze vakant. Gerade im Handwerk herrscht trotz Krise Bedarf. Statt circa 500 Stellen wurden dort Stand letzten Monats etwa 130 weniger vergeben. Obwohl auf Seiten der Ausbilder Bereitschaft und Lust vorherrscht. Doch wie positionieren sich die jungen Leute?

Ausbildung als „Rückgrat der Gesellschaft“: Schweiz als Vorbild?

Rund 2,9 Mio Studierende waren im vergangenen Wintersemester an den deutschen Hochschulen eingeschrieben, 47 Prozent mehr Studierende innerhalb von 15 Jahren. Davon sind es jährlich 500.000 Neuanfänger. In gleicher Anzahl werden Ausbildungsverträge abgeschlossen. Zum Vergleich: In der Schweiz, wo 2014 noch  schätzungsweise gut 70 Prozent einen Lehrberuf wählten, gilt die Ausbildung als „Rückgrat der Gesellschaft”.

Möglicherweise befürworten die durch das G8 gepeitschten Abiturienten anstatt der Schul- und Werkbank die (vermeintliche) akademische Freiheit der Hochschulen. Mit dieser ist es vorbei, sobald die Studieninteressierten in der Numerus-Clausus-Mühle „hochschulstart.de“ gemahlen werden.

BWL-Studium wie alle anderen? Ausbildung wirbt mit Gehalt und Aufstiegschancen

Zwar suggerieren 4.316 Bachelor-Studiengänge freie Wahl, am beliebtesten bleibt typischerweise BWL. In diesem Einheitsbrei ohne überdurchschnittliche Erfolge im Bachelor sowie bestenfalls zusätzlich im Master schwinden Jobchancen. Ein Studienabschluss fungiert nicht als das Heilmittel.

Stattdessen ist Berufserfahrung gefragt! Sie wird nicht nur durch studienbegleitende Praktika, sondern auch durch eine Ausbildung vermittelt. In einem richtigen Betrieb mit anpacken anstatt Kaffee zu kochen, zu kopieren oder Botengänge zu erledigen. Gern zur späteren Übernahme im selben Betrieb. Zudem wird sie im Schnitt mit rund 900 Euro im Monat vergütet. Ist dann der interne Aufstieg im Unternehmen möglich, wird das Totschlagargument der Uni-Befürworter zunichte gemacht, dass ein solides Einkommen nur mit einem Hochabschluss zu erzielen wäre.

Insbesondere im Jahr 2020 verstärkt sich das finanzielle Argument. Annähernd 70 Prozent de deutschen Studierende sind auf einen Nebenverdienst angewiesen. Während Studierende um typische Nebenjobs auf – aktuell nicht stattfindenden – Events oder im Nachtleben bangen, erhalten Auszubildende monatlich ihren Lohn. Denn durch die Auffangschirme der Bundesregierung sollen Ausbildungsplätze trotz Krise gefördert und gesichert werden.

Auszubildende: freie Berufswahl gegen den Fachkräftemangel!

Hinter solchen Programmen verbirgt sich zudem die Aussicht, den ständigen Fachkräftemangel zu minimieren. Im vergangenen Jahr registrierte das IW Köln in seiner „Kofa-Studie“ in über der Hälfte der als „relevant“ eingestuften Ausbildungsberufe (391 von 753) leere Ausbildungsplätze. Gerade weil infolge der Corona-Beschränkungen die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte gestoppt ist, bieten sich größere Chancen für den nationalen Nachwuchs an. Folglich legen die Arbeitgeber dem, sofern qualifizierten, Nachwuchs fast 400 Berufe zu Füßen, eine Win-Win-Situation!

Auf der anderen Seite, die Perspektive für das kommende Wintersemester: Viele Studierende scheitern an der eigenen Selbstdisziplin, die ohne regulär geöffnete Bibliotheken und den fehlenden  Vorlesungsbetrieb in Präsenz schwindet. Sich selbst strukturieren zu dürfen und zu müssen, ist eine trügerische Verlockung. Gerade weil die Studienanfänger des G8-Abiturs jünger denn je sind.

Corona-Krise: Ausbildungsstart bis Ende 2020 – Rekord in Schweinfurt

Hier verschaffen die Ausbildungsbetriebe und der Blockunterricht Abhilfe. Das wissen sie bei den Handelskammern wie der in Schwaben. Wolfgang Haschner, dortiger Ausbildungsleiter zeigt sich angesichts der Tatsache, dass das Ausbildungsjahr bis Ende 2020, teilweise bis Januar des neuen Jahres gestartet werden darf, optimistisch: „Wir spüren bereits einen Nachholeffekt. Da ist noch viel Bewegung im Ausbildungsmarkt.“

Eigenwerbung wie diese fördert den Zulauf und gebietet dem Automatismus, laut der Älteren studieren zu „müssen“, dem Uni-Hype Einhalt. Ihre Einschätzungen decken sich mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts. Der totale Ansturm auf die Universitäten scheint gebremst. 56 Prozent eines Jahrgangs entschieden sich 2019 für eine Hochschule, 2013 waren es noch 2,5 Prozentpunkte mehr.

In Schweinfurt vermeldete derweil die Firmengruppe Riedel Bau sogar einen Rekordwert von 18  Auszubildenden für das neue Ausbildungsjahr. Natürlich wird nicht jeder neue Auszubildende eine Spitzenkraft, doch das Gerüst Ausbildung leitet die Neulinge in eine geebnete Richtung. Ohne Studium geht viel – trotz, aber auch wegen Corona!

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